Ralf Husmann
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Das Interview
„Wie bitte, denken Sie Herr Husmann?“
Form A: „Wie bitte, denken Sie?“, fragen wir den Drehbuchautor, Produzenten und Autor, Ralf Husmann. Ralf Husmann hat Drehbücher geschrieben für den Tatort, hat Sketche geschrieben für viele namhafte Personen wie Harald Schmidt oder Anke Engelke und ist viele Jahre als Geschäftsführer in der Medienbranche tätig gewesen. Herr Husmann, Sie wurden mal von der Süddeutschen Zeitung als der witzigste Mann Deutschlands tituliert. Eine solche Zuschreibung, ist das Ansporn oder Hypothek?
Ralf Husmann: Weder noch. Ich nehme das, ehrlich gesagt, nicht wahr. Ich lese Kritiken. Ich lese fast alles, was so kommt, aber ich habe eigentlich keine innere Resonanz dafür, weder für die positiven noch die negativen Sachen. Ich kann von beiden so viele Prozente abziehen, dass ich weiß, in der Mitte liegt die Wahrheit. Und seit die Süddeutsche das geschrieben hat, gibt es wahrscheinlich jetzt mittlerweile fünf andere witzigste Männer Deutschlands. Das war, glaube ich, noch vor Mario Barth und mittlerweile wäre es wahrscheinlich Oliver Welke oder so. Das muss man nicht so ernst nehmen.
Form A: Das heißt, Sie jagen keinem Anspruch hinterher, den man immer wieder neu erfüllen muss oder wo man sich immer wieder neu beweisen muss? Das heißt, es übt keinen Druck aus?
Ralf Husmann: Nein. Eigentlich nicht – tatsächlich. Ich habe gar kein Verhältnis zu Zielgruppen, Quoten oder Erwartungen, weil ich eigentlich nicht weiß, wie man das bedient. Ich habe Stromberg geschrieben und als wir die ersten Male unterwegs waren und das vor größerem Publikum mal live vorgeführt haben, war ich total erstaunt, wer da alles im Publikum saß, weil es einfach so junge Leute waren, die noch nie ein Büro von innen gesehen hatte und tätowiert waren und fünf Pfund Blech im Gesicht hatten und das war gar nicht die Klientel, von der ich erwartet hatte, dass die Stromberg gut finden. Und da habe ich gemerkt, ich habe überhaupt keine Vorstellung davon, wer meine Sachen schaut oder gut findet und wer nicht. Und ich glaube, ich kann überhaupt nicht, selbst wenn ich es wollte, irgendwie auf ein bestimmtes Zielpublikum hinschreiben und deswegen gibt es für mich auch keine Erwartung, die man erfüllen oder nicht erfüllen kann. Ich kann einfach nur versuchen das zu machen, was ich selber gut finde und hoffen, dass das genug andere Leute auch gut finden.
Form A: Sie sind als Denker ein produktiver Denker. Das heißt, Sie denken sich Geschichten aus. Sie denken sich Charaktere aus. Sie denken sich Figuren aus. Woher kommen Ihnen die Ideen für diese Charaktere, für die Szenen, die Sie sich ausdenken?
Ralf Husmann: Bei den neuen Formaten ist es in den meisten Fällen so, dass ich bereits Schauspieler habe, die ich mitbringe oder wo ich das Gefühl habe, mit denen würde ich gerne mal arbeiten. Und dann versuche ich herauszufinden, was mich an den Schauspielern, an den privaten Personen interessiert und was ich denen zutraue oder wo ich das Gefühl habe, von dem will ich was wissen. Im Prinzip eigentlich fast wie ein Interview. Dass man einfach hingeht und denkt, das ist eine interessante Type und ich versuche mir vorzustellen, was steckt da sonst noch drin? Und daraus versuche ich eine Figur zu entwickeln. In den seltensten Fällen ist es so, dass ich von realen Menschen, die ich selber persönlich kenne, ausgehe und von da aus eine Figur baue und dann versuche dafür einen passenden Schauspieler zu finden – hat es aber auch schon gegeben. Der Ernie in Stromberg basiert auf zwei Leuten, die ich vor langer Zeit mal getroffen habe und wo ich einzelne Charakteristika herausgenommen habe und die zu einer Figur gebaut habe und dann Bjarne Mädel für die Figur gefunden habe. Aber normalerweise ist es umgekehrt.
Form A: Sie benutzen das Wort ‚bauen‘. Wie viel Technik ist beim Schreiben dabei? Ist es tatsächlich auch ein Konstruktionswerk? Gibt es Techniken, die man dafür verwendet? Oder ist das eher der Inspiration zuzuschreiben?
Ralf Husmann: Ich bin großer Anhänger der Handwerkstheorie. Ich glaube man kann Schreiben erlernen und es besteht eben zu weiten Teilen aus Handwerk. Ich glaube, man braucht ein gewisses Talent dafür, aber das braucht man, wenn man Schreiner oder Klempner oder Bäcker wird, ja eigentlich auch. Und beim Schreiner, glaube ich, gibt es ebenfalls diesen Anspruch zu sagen, wenn das jemand machen will als Beruf, dann erwarte ich von dem, dass er irgendwie weiß, wie man hobeln muss. Dann erwarte ich von dem, dass der irgendwie mal einen Tisch bauen kann. Und am Ende entscheidet dann, glaube ich, so ein bisschen das letzte Quäntchen darüber, ob das ein guter Tisch wird oder ob das jetzt ein normaler Tisch wird und ob der besonders und vielleicht einzigartig ist. Aber, sagen wir mal, in den allermeisten Fällen geht es erstmal um Handwerk. Und das kann man, ein gewisses Talent vorausgesetzt, lernen. Darum geht es: Techniken zu lernen und zu erwerben, um am Ende mit den Sachen umgehen zu können.
Form A: Wie haben Sie diese Techniken erlernt? Oder wie sind Sie dazu gekommen?
Ralf Husmann: Bei mir ist das tatsächlich Learning by Doing. Ich bin ja schon sehr, sehr alt und habe im Prinzip damals angefangen, ohne dass es sowas wie Drehbuchworkshops gab oder Hochschulen, wo man das irgendwie hätte lernen können. Das gab es damals einfach noch gar nicht in Deutschland. Und ich habe das tatsächlich einfach beim Machen gelernt und habe versucht, mir anzugucken, wie machen die Amerikaner das, die in den Genres wo ich unterwegs bin sehr viel mehr Erfahrung haben und das sehr viel länger machen. Und habe einfach tatsächlich wahnsinnig viel geschaut und versucht so für mich zu analysieren, wie ist das gebaut und wie ist das gemacht und habe versucht, das nachzumachen. Ich glaube, das ist erstmal ein ganz legitimer Weg, wie es die Chinesen jetzt ebenfalls machen, einfach zu klauen und dann zu gucken, wenn man es geklaut hat, peu à peu was Eigenes daraus zu entwickeln. Das habe ich in allen Bereichen, in denen ich gearbeitet habe, immer so gemacht. Die Harald Schmidt Show war in den ersten, sagen wir mal, acht Monaten oder so einfach eine Kopie der amerikanischen Late Night Shows und dann haben wir versucht herauszufinden, was funktioniert davon ebenfalls in Deutschland und was nicht. Und dann haben wir ganz allmählich was Eigenes daraus entwickelt. Und ich habe mich bei Stromberg ebenfalls an einem englischen Format angelehnt – oder, sagen wir, ich habe es auch geklaut –, aber doch sehr schnell versucht, da was Eigenes draus zu machen und ich glaube, es ist einigermaßen gelungen.
Form A: Gibt es tatsächlich eine Technik des Witzes, die man beschreiben kann? Sie sind ja auch Dozent an der Filmhochschule. Was vermitteln Sie den Schülern dann? Ist es so etwas wie Erwartungsbrüche, mit denen der Humor operiert oder wie kann man das beschreiben?
Ralf Husmann: Ja. An der Filmhochschule ist die Aufgabenstellung ja ein bisschen eine andere. Da kann man durchaus das komische Schreiben lernen, aber es geht jetzt nicht um den konkreten Witz. Wir arbeiten jetzt nicht daran, dass die Witze schreiben, sondern wir versuchen herauszufinden, mit welchen Figuren kann man komisch umgehen und wie kann man diese Figuren in Situationen setzen, die komisch wirken oder die komisch sind? Das ist im Prinzip die Aufgabenstellung, die man im Film hat: zu schauen, wo gibt es im Alltag Möglichkeiten, die wir ebenfalls lustig finden. Das ist das, was ich versuche, den Studenten beizubringen; zu sagen: „Schaut, was passiert euch jeden Tag? Macht einfach eine Art Tagebuch und schaut, was ist euch heute aufgefallen. Da war der komische Typ, dem ich heute beim Bäcker begegnet bin. Da war eine Situation, wo ich mich merkwürdig verhalten habe. Was war mir unangenehm? Wo war mir was peinlich? Wo ist was passiert, was in irgendeiner Weise komisch ist?“ Und aus den Sachen versuchen wir dann am Ende eine Situation zu bauen, die man im Drehbuch ebenfalls gebrauchen kann. Es geht mehr darum, quasi die Alltagssinne zu schärfen und zu gucken, wo passiert im Alltag etwas, das wir lustig finden. Und das ist eigentlich das Handwerkszeug, was ich auch nutze. Ich versuche wirklich aus allem, was mir passiert, was Freunden und Bekannten passiert, am Ende irgendwas zu bauen.
Form A: Man hat, wenn man Stromberg schaut, manchmal das Gefühl, dass Sie fast als Arbeitssoziologe unterwegs sind, da Sie doch viele Eigenheiten des Betriebes sehr genau erfasst haben und karikieren. Wie kommen Sie zu dieser Beobachtung? Verstehen Sie sich selbst vielleicht auch als Beobachter? Wie viel Beobachtung gehört dazu, zum Handwerk?
Ralf Husmann: Ja. Das ist tatsächlich erstmal die Grundlage. Für mich ist dieses Beobachten, in erster Linie aber das sich selbst Beobachten, erstmal die Grundlage. Nicht nur in tatsächlichen Ereignissen, sondern ebenfalls in der Haltung. Christoph Maria Herbst und ich haben eine Sprachregelung gefunden dahingehend, dass er gesagt hat, er ist zu 18 Prozent Stromberg und den Rest mache ich. Und das stimmt eigentlich auch. Die innere Haltung vom Charakter Stromberg ist sehr nah bei mir. Wenn ich, keine Ahnung, im OP liegen würde und es kommt, ich sage mal ein afrikanischer Kollege rein und will mir den Schädel aufbohren, wäre ich erstmal skeptisch. Und dafür gibt es gar keinen Grund, aber ich weiß oder beobachte an mir, dass es dieses Vorurteil gibt oder diese Wahrnehmung zu denken: „Oh, kann der das? Hat der das überhaupt gelernt?“ Und für diese Haltung brauche ich am Ende nur nochmal zehn Prozent draufzulegen und bin dann bei einem Typen wie Stromberg oder so, wo ich einfach merke, es gibt einfach bestimmte Positionen, die ich sehr deckungsgleich auf meine Figuren übertragen kann. Und ich kenne aber, ehrlich gesagt, ebenfalls die Haltungen der anderen Figuren, die ich mache, in fast allen Bereichen erstmal aus eigenem Erleben ganz gut und versuche immer nur so weit zu abstrahieren, dass ich den Figuren nochmal so zehn Prozent Eigenleben gönne. Aber erstmal ist die Basis das, was ich selber kenne.
Form A: Und ist dadurch die Variabilität der Figuren beschränkt, weil Sie sagen, da steckt ebenfalls viel von einem selber drin?
Ralf Husmann: Ja.
Form A: Gibt es sozusagen eine Bandbreite von Figuren, in denen man sich bewegt?
Ralf Husmann: Ja. Auf jeden Fall. Ich kann bestimmte Sachen, glaube ich, nicht gut schreiben und an manche Sachen würde ich mich, ehrlich gesagt, wahrscheinlich gar nicht herantrauen. Ich kann schon auch Frauenfiguren schreiben, aber ich glaube, ich bleibe auch da innerhalb eines ganz bestimmten Bereiches. Wenn man sich anschaut, was ich normalerweise mache, ebenfalls in den Romanen, sind das immer Mittelstandsfiguren. Dann sind das immer so Leute, die Pi mal Daumen auch in meinem Alterssegment unterwegs sind. Ich habe jetzt auch mal einen Film geschrieben, wo die Protagonisten eher 70 plus sind und so, aber in den Problematiken, die sie haben und was sie diskutieren, bleiben die trotzdem in meinem Erfahrungsbereich. Und ich würde mich jetzt auch schwertun, z. B. eine Figur zu schreiben, die 15 oder 16 – also in der heutigen Zeit – ist. Weil ich das Gefühl habe, ich wüsste nicht wirklich hundertprozentig, wie jemand, der heute fünfzehn ist, denkt oder wie der tickt, weil einfach die Diskrepanz mit den neuen Medien und so weiter so groß ist, dass ich das nicht mehr wirklich sagen kann. Und deswegen bin ich eigentlich schon sehr klar limitiert. Ich kann jetzt, z. B. auch keine Adelsfiguren schreiben oder, sagen wir mal, jetzt wirklich Hartz-IV-Empfänger oder so, ohne dass das nachher klischeehaft wird. Ich muss mich schon immer an dem orientieren, was ich wirklich kenne, sonst stimmen die Figuren nicht und ich glaube dann komme ich automatisch immer so auf diesen Bereich von Mittelschicht, mittelalt zurück.
Form A: Hat sich Ihr Denken denn im Laufe der Jahre verändert? Wenn Sie sagen, dass der persönliche Erfahrungshintergrund mit einer der wichtigsten Inspirationsquellen zur Entwicklung der Charaktere ist, dann könnte man ja vermuten, dass der dreißigjährige Ralf Husmann vielleicht anders geschrieben hat als der heutige.
Ralf Husmann: Ja. Auf jeden Fall. Es hat sich zumindest mal eine gewisse Routine eingestellt. Das gehört, glaube ich, durchaus mit zu den positiven Eigenschaften, dass ich mittlerweile nicht mehr so oft in Situationen laufe, wo ich gar nicht mehr weiter weiß. Beim Schreiben gibt es ja immer mal wieder den Punkt, wo man vor so eine Wand fährt und denkt, „ja, jetzt habe ich das irgendwie verbockt. Ich habe mich irgendwie verfranst.“ Und da bin ich früher wesentlich öfter hingeraten als jetzt, weil mittlerweile habe ich, glaube ich, genug Routine, um einfach an bestimmten Stellen zu wissen, hier wird es schwierig, hier muss ich was anders machen. Das weiß ich jetzt eher als früher, vor fünfzehn, zwanzig Jahren. Und natürlich hat sich ebenfalls ein bisschen die Perspektive verändert, was man selber lustig findet oder wo man selber sagt, das kann man jetzt nochmal machen. Ich bin auch vorsichtiger geworden. Ich gehe sozusagen mit Figuren vorsichtiger um, weil ich würde mal sagen, es gibt eine gewisse Lebensweisheit, die sich eingestellt hat, wo man sagt, man verurteilt nicht mehr so schnell und entsprechend schreibt man, glaube ich, auch ein bisschen differenzierter. Also ich hätte, glaube ich, früher mehr draufgehauen oder mal so Schwarz-Weiß-Figuren gezeichnet und das versuche ich heute zu vermeiden und versuche dem Ganzen ein bisschen nochmal eine andere Farbe zu geben.
Form A: Im Schreibprozess, wie ist das? Wie lebendig werden die Figuren für Sie? Begleiten die Sie im Alltag? Wenn Sie an einem konkreten Projekt dran sind, gibt es ja auch sehr unterschiedliche Medien, die Sie bedienen – vom Roman über den Sketch bis hin zur Serie. Das eine sind Folgehandlungen, die anderen haben einen größeren Rahmen. Das Nächste sind relativ kleine Bereiche. Wie nahe kommen Ihnen diese Personen oder wie sehr interagieren Sie im Kopf mit diesen Personen?
Ralf Husmann: Ja verrückterweise, ohne dass das jetzt zu esoterisch klingt, ist es tatsächlich so, wie man das ja häufig auch von Romanautoren liest, dass die Figuren sich oft selber schreiben. Es ist in vielen Fällen so, dass ich anfange zu schreiben, aber noch nicht weiß, wo ich am Ende aufhören werde. Bei den Romanen war das auf jeden Fall so, dass ich eigentlich nur die Grundidee hatte und wusste so bis ungefähr zur Mitte, das wird passieren und ab da wusste ich es nicht mehr; und habe dann trotzdem angefangen zu schreiben und dann entwickelt sich das wirklich aus sich selbst heraus. Für mich ist das tatsächlich auch etwas sehr Therapeutisches und ich glaube, das ist in der Therapie am Ende ja auch so, dass man einfach während man redet, während man schreibt, an so einen Punkt kommt, wo man denkt, „ach, darum geht es ja eigentlich.“ Ich habe das auch bei kleineren Drehbüchern oft, dass ich irgendwie anfange, mich für ein Thema zu interessieren oder zu sagen, das könnte den Figuren passieren und dann beim Schreiben merke, ach, das ist das darunterliegende Thema. Da geht es dann um Vertrauen oder um Liebe oder um – was weiß ich – Männlichkeit oder so. Das ist mir aber oft beim Anfang des Schreibens noch nicht bewusst und dann wird sich das im Laufe des Schreibens herauskristallisieren. Und da ist es tatsächlich dann oft so, dass die Figuren sich quasi selbst schreiben. Dass man irgendwann das Gefühl hat, ah ja okay, die wollen in eine bestimmte Richtung.
Form A: Das heißt, der Ausgangspunkt ist erstmal eigentlich ein starkes Gefühl oder eine Emotion?
Ralf Husmann: Ja.
Form A: Oder ist da eine Struktur im Kopf?
Ralf Husmann: Bei Serien ist es ganz oft so, sagen wir mal wie bei Stromberg, wo wir tatsächlich fünf Staffeln gemacht haben und einen Film. Da geh ich relativ technisch vor und denke, was habe ich jetzt von der Figur noch nicht gesehen? Aktuell z. B.: Kann jemand wie Stromberg sich auch wirklich ernsthaft verlieben? Ich wollte einfach mal wissen, wie wird Christoph als Schauspieler mit einer Situation umgehen, wo ich ihn in dieser Rolle sich wirklich verlieben lasse. Oder eben jemand wie Bjarne oder die Figur von Ernie, wo ich tatsächlich ebenfalls mal eine solche Situation hatte vor vielen Jahre, wo eine Arbeitskollegin Depressionen bekommen hat – das ist eine unglaublich schwierige Situation. Wenn man das am Arbeitsplatz erlebt, wie geht man damit um? Weil man sich in der Regel am Arbeitsplatz nicht so gut kennt, dass man wirklich persönlich darauf reagieren kann. Man muss aber in irgendeiner Weise darauf reagieren. Man kann das eigentlich nicht ignorieren. Und dann muss man ja irgendeinen Modus finden, wie man mit so einer Person umgeht. Und das fand ich erstmal tragisch und gleichzeitig aber ebenfalls wahnsinnig lustig. Weil man sofort die Idee hat zu sagen, ja, da muss man mehr Witze erzählen. Man versucht den aufzuheitern. Man versucht den zu ignorieren. Man will den wegschicken und so weiter. Und dann habe ich sofort eine solche Liste von Dingen, wo ich denke, ja, das kann sehr komisch werden, wenn wir jetzt jemandem wie Ernie eine Depression geben und gucken, wie gehen die anderen Figuren damit um. Das ist z. B. eine Ausgangsposition bei Serien, wo ich versuche herauszufinden, was haben wir von den Figuren bislang noch nicht gesehen und was würde mich da nochmal interessieren. Und bei meinem ersten Roman war es so, dass die Ausgangssituation tatsächlich so war, dass ich in Amerika in der Fußgängerzone gestanden habe und dachte, ich bin jetzt der Einzige mit einem Seitenscheitel. Und habe gedacht, das ist irgendwie eine komische Situation – damals war ich 40 oder so –, jetzt bin ich irgendwie so alt geworden und habe immer noch keine eigenständige Frisur, sondern die ist einfach irgendwie so dahingewurschtelt worden und die habe ich einfach beibehalten und alle anderen machen was anderes. Das war so der Ausgangspunkt für diese Figur. Und um da nochmal drauf zurückzukommen, was ich da vorhin gesagt habe, das war am Ende quasi nur der Aufhänger dafür, dass ich gedacht habe: „So, meine Ehe scheitert.“ Und das floss aber quasi in diesen ersten Roman mit ein.
Form A: Wie emotional ist dieser Schreibprozess? Macht das Spaß mit diesen Figuren zu arbeiten? Ist man intrinsisch motiviert oder hat das viel mit, sage ich mal, Routinearbeiten, Abarbeiten zu tun? Wie würden Sie den Schreibprozess charakterisieren?
Ralf Husmann: Es gibt sicher beides. Das Handwerkliche, das Routineartige ist auf jeden Fall ein großer Bestandteil des Schreibens, weil gerade fürs Fernsehen oder für Drehbücher muss man extrem produktionsfreundlich schreiben. Das heißt, es kommt immer jemand, der sagt, das können wir uns nicht leisten. Wir haben diesen Schauspieler nur fünf Tage statt der sieben, die du reingeschrieben hast. Wir haben das Motiv nur drei Tage statt der fünf, die du reingeschrieben hast. Man muss sehr viel schreiben nach Zahlen, nenne ich das immer. Das, was man sich ausgedacht hat, der Drehwirklichkeit anpassen. Das ist eine sehr technische Angelegenheit, bei der im Prinzip wenig Emotionales dabei ist. Der Grundprozess, wenn man sich überlegt, was für ein Stoff kann da drin sein, der hat für mich was extrem Emotionales, weil ich weiß, ich muss mich relativ lange mit dem Thema beschäftigen – vor allem, wenn ich es selber noch produzieren – also muss ich was machen, was mich tatsächlich auch über Wochen und Monate interessiert. Ich würde nichts mehr machen, wo ich jetzt das Gefühl habe, das mache ich jetzt, um Geld zu verdienen, aber eigentlich interessiert es mich nicht. Sondern ich brauche schon erstmal diese Aufhängung, dass ich denke, das könnte spannend sein. Und das ist in der Tat auch was sehr Emotionales. Ich glaube, wenn ich das mal küchenpsychologisch deuten würde, hat Schreiben für mich diese Komponente, dass ich versuche dem Leben eine Ordnung zu geben. Dass man am Schreibtisch das Gefühl hat, man kann sein Leben in den Griff bekommen, weil man das alles selber bestimmen kann, weil man sagen kann, für die Figuren bin ich quasi der Schöpfer und ich kann sagen, das passiert und das passiert und das passiert und ich habe das alles im Griff. Und ich glaube, dass das ebenfalls viel damit zu tun hat, dass man sich selber das Gefühl geben kann, dass alles was einem tatsächlich im Leben passiert, am Ende nochmal so einen Sinn gibt, weil das am Ende wenigstens Futter oder Material für irgendeinen Stoff ist.
Form A: Das heißt, Schaden ist im Grunde positiv, weil es Ihnen den Stoff für eine neue Geschichte liefern kann?
Ralf Husmann: Genau. Genau. Das ist, z. B. auch etwas, was man, glaube ich, lernt im Laufe der Jahre, dass man einfach sich selber permanent beobachtet und auch in einer Situation, die unangenehm ist, die schwierig ist, die peinlich, blöd ist, wo man Angst hat oder so, trotzdem einfach so mitläuft und einfach denkt, das ist ja irgendwie spannend. Mir geht das immer so, dass auch in Situationen, die total merkwürdig sind, erstmal so ein innerer Stenoblock mitläuft, der sagt, das können wir auf jeden Fall mal gebrauchen.
Form A: Sie operieren meist entlang der Schamgrenze bzw. Ihre Charaktere zeichnen sich oft dadurch aus, dass sie ungeschriebene Regeln im zwischenmenschlichen Miteinander verletzen oder übertreten. Würden Sie das auch so sehen, dass es eine Vielzahl dieser Regeln gibt und dass es damit auch viele Fallstricke in unserer Gesellschaft gibt, über die man stolpern kann?
Ralf Husmann: Ja ich glaube, das ist natürlich ein bisschen, sagen wir mal, das Grundnahrungsmittel von Humor, dass man versucht, Konventionen zu brechen oder Regeln zu verletzen. Der früheste, bei den alten Griechen zu findende schriftliche Nachweis von Humor ist, ich glaube, die Geschichte, dass der Philosoph ins Buch guckt, beim Lesen geht und dann eben den Graben nicht sieht und da reinfällt und die Magd lacht. Bei Heraklit ist das irgendwo mal niedergelegt, glaube ich, dass das quasi die Keimzelle von Humor ist. Jemand fällt hin. Jemand, der eigentlich schlau ist, der in Bücher schaut, fällt jetzt hin. Und ich glaube, da gibt es jetzt nicht so eine richtig großartige Weiterentwicklung, sondern, wenn jemand eine Regel verletzt, wenn irgendwas passiert, was eigentlich nicht passieren sollte, empfinden wir das als lustig, weil wir ja auch immer froh sind, dass es uns nicht passiert, sondern dass es irgendjemand anderem passiert. Und ich glaube, das ist so die Basis von Humor. Ich glaube nicht, dass speziell wir Deutschen jetzt eine normiertere Gesellschaft als irgendwelche anderen Leuten haben, aber ich glaube, wir haben spezielle eigene Regeln. Wenn man sich den englischen Humor anschaut, dann funktioniert der natürlich auch viel mehr über diese gesellschaftlichen Schichten, wo man sagt, es gibt eine klar definierte Oberschicht, die auch anders redet, die anders denkt, die anders wohnt und die auch anders aussieht. Und es gibt eine Unterschicht und es gibt eine Mittelschicht. Das haben wir in Deutschland in dieser Form nicht. Aber ich glaube, wir haben andere Merkmale und andere Dinge, wo man eben sagen kann, das ist sehr speziell deutsch und wenn man dagegen verstößt, ist es natürlich lustig.
Form A: Wie wichtig sind für Sie andere Medien als Inspirationsquelle? Gibt es den Austausch mit anderen Autoren? Oder zumindest das Lesen anderer Autoren?
Ralf Husmann: Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es noch andere Autoren gibt (lacht). Es ist natürlich wie in jeder Branche, man hat ein großes Maß an Eifersucht, an Punkten, wo man sagt, warum ist mir das nicht eingefallen? Warum ist der so viel erfolgreicher als ich? Ich finde, ich bin wesentlich lustiger als der oder die. Aber es gibt natürlich trotzdem einen Austausch. Es gibt in der Branche ja gar nicht so wahnsinnig viele Leute, die da arbeiten. Nach wie vor ist es so, dass man in Deutschland vielleicht, ich sage mal, ein gutes Dutzend Leute hat, die wirklich ernsthaft vom Witzemachen leben können. Und die kennt man auch alle. Mehr oder weniger gut, aber eigentlich kennt man sich untereinander.
Form A: Haben Sie Vorbilder? Oder auch Vorbilder gehabt, die Sie auf den Weg geführt haben?
Ralf Husmann: Tatsächlich nicht wirklich Vorbilder. Ich habe jetzt nie gedacht, ich muss so schreiben wie der oder der; aber es gab natürlich eine ganz große Anzahl von Leuten, die ich super fand und wo ich mir, glaube ich, immer was rausgenommen habe. Ich bin, z. B. über einen Kabarettisten aus dem Rheinland über Hanns Dieter Hüsch zu Thomas Bernhard gekommen, weil der irgendwie den Thomas Bernhard super fand und ich wusste gar nicht, dass es den gibt und dann hat der halt angefangen den Thomas-Bernhard-Duktus zu parodieren oder nachzumachen und darüber bin ich halt auf Thomas Bernhard gekommen. Und da gab es durchaus immer einfach solche Leute, die ich speziell im lustigen Bereich auch gut fand. Also so jemand wie Alan Ayckbourn, der in England intelligente Boulevardkomödien schreibt und einfach ein sehr gutes Ohr für Dialoge hat oder jemand wie Aaron Sorkin der ‚The West Wing‘ geschrieben hat oder so. Also es gibt eine ganze Bandbreite von Leuten, die ich gut finde, aber ich habe ehrlich gesagt noch nie jemandem versucht, wirklich nachzueifern.
Form A: Wohin entwickelt sich der deutsche Humor? Gibt es da Linien, die sich abzeichnen? Mit Blick auf die vergangenen Vorbilder hat sich der Humor wahrscheinlich doch sehr gewandelt in unserer Gesellschaft, oder?
Ralf Husmann: Bin ich mir, ehrlich gesagt, nicht sicher. Ich glaube nach wie vor, dass wir als Nation oder Volk eigentlich keinen Humor haben. Ich glaube, die Deutschen sind sehr humorfrei. Und ich meine das im Sinne davon, dass Humor bei uns nicht benutzt wird, um mit dem Leben fertigzuwerden. Wir Deutsche tendieren nicht dazu, den Humor ernst zu nehmen. Im angelsächsischen Bereich ist das durchaus viel stärker. Wenn man sich anschaut, was in Amerika oder England unter Humor gefasst wird, dann ist fast jede gesellschaftliche Randgruppe irgendwo im Humorbereich vertreten. Alle wichtigen gesellschaftlichen Strömungen und Tendenzen werden über Humor und Satire irgendwie verarbeitet und bei uns ist das aber nicht der Fall. Bei uns heißt es immer, jetzt mal Spaß beiseite und es ist immer erstmal so, dass man sagt, wenn das lustig ist, dann ist das erstmal nichts wert. Ich glaube, wir sind von der Mentalität her nicht in der Lage, mit Humor auf das Leben zu reagieren, sondern bei uns ist das immer so ein Hobby, immer so eine Geschichte, die man machen kann und wo man sagt, ja, man kann auch mal einen lustigen Witz erzählen. Aber das, finde ich, ist eigentlich ja nicht das Kennzeichen von Humor, sondern man braucht Humor gerade dann, wenn es total ernst wird. Gerade in einer Situation wie jetzt mit den Flüchtlingen oder wenn man selber daliegt und hat einen Schlaganfall, dann brauchst du Humor. Du brauchst den Humor nicht, wenn du jetzt sagst, wir haben den 50. Geburtstag von Tante Inge und einer muss nochmal einen lustigen Witz erzählen. Das ist für mich jetzt kein Humor. Ich glaube, dass sich da in der Hinsicht die Gesellschaft, ehrlich gesagt, nicht so wahnsinnig viel weiterentwickelt hat, sondern das ist eigentlich auch in der jetzigen jungen Generation nicht wesentlich weitergekommen, obwohl die natürlich eine andere Sozialisierung haben und auch schon mal englische, amerikanische Formate geschaut haben. Aber ich glaube, es ist nicht quasi in der DNA des Volkes angekommen.
Form A: Welchen Stellenwert hat Humor für Sie persönlich im Leben? Es klang ein bisschen durch, dass er durchaus auch katharsische Wirkung hat oder möglicherweise als Therapeutikum dient?
Ralf Husmann: Ja. Total. In allen Situationen versuche ich erstmal trotzdem das Lustige daran zu sehen. Der Kollege Hans Zippert, der immer noch diese Kolumne schreibt für Die Welt, hat mal erzählt wie er einen Schlaganfall auf der Straße hatte und dann dagelegen ist und irgendwie nicht wusste, was passiert ist mit ihm und dass er aber gleichzeitig trotzdem gleich auch diesen lustigen Aspekt registriert hat, dass er da jetzt auf einmal so zuckend lag und die Leute drum herum auch nicht so richtig wussten, was los ist. Und so geht es mir, ehrlich gesagt, ebenfalls. Ich kann mich an Situationen erinnern, wo ich mich mit meiner damaligen Frau gestritten habe und wie ich das aber wahnsinnig lustig fand, weil die war Amerikanerin, sie halt auf Englisch redet, ich rede auf Deutsch. Wir versuchen beide möglichst weit voneinander entfernt uns misszuverstehen. Oder auch eine Situation, wo man einfach im Krankenwagen sitzt mit dem Vater meiner damaligen Freundin und er aber auf der Trage nochmal sagt, wo man langfahren muss und das fand ich einfach wahnsinnig lustig. Diese Vorstellung, dass da jemand sitzt und um sein Leben kämpft, aber sagt, „nee, jetzt links“. Das sind so Momente, wo ich auch für mich merke, auch wenn es blöd ist oder wenn es irgendwie schwierig wird… Also es gibt eine Folge von Stromberg, die einfach komplett davon handelt, dass ich irgendwann mal gemerkt habe, bei mir auf der Stirn wächst irgendwie so ein Muttermal und ich habe dann wirklich so für, ich glaube, mal so drei Stunden gedacht: „Ah, das ist jetzt Hautkrebs. Jetzt hast du es.“ Und dann musste man zum Arzt und dann sagte der Arzt: „Das ist eine klassische Alterswarze.“ Und man hat halt diese drei Stunden, wo man denkt: „Ah, fuck, jetzt ist es soweit.“ Und ich wusste aber dann schon in diesen drei Stunden, das ist natürlich eine Folge für Stromberg, weil der wird halt denken, er hat Krebs und er macht es nicht mehr lange und so. Schon in dem Moment, wo man selber in diesen drei Stunden erstmal nicht so richtig Bescheid weiß, war bereits klar, wenn ich das überlebe, wird das auf jeden Fall eine Folge. Und ich glaube, das ist einfach so ein Automatismus bei mir.
Form A: Oder auch Zwangsmechanismus?
Ralf Husmann: Ja. Das, glaube ich, kann man tatsächlich nicht so richtig trennen. Es ist schon seit Schultagen so, dass es immer mal dazu führt, dass Leute sagen, kann man mit dir auch mal ernsthaft reden? Meine Mutter ist sehr früh gestorben, als ich dreizehn war. Und in dem Umfeld sind nochmal zwischen dreizehn und, ich glaube, neunzehn oder so, zwei Leute, die mir wichtig waren, auch gestorben und dann hat das für mich dazu geführt – nicht als bewusste Entscheidung, aber in der Konsequenz – ja, okay, es gibt nicht so wahnsinnig viel Wichtiges im Leben. Wenn jemand weg ist, das ist wichtig. Aber die Frage, – so klassische persönliche Eitelkeit – wo man sagt, verdient man mal mehr oder mal weniger, ist nicht wichtig. Das habe ich irgendwie sehr früh als Konsequenz daraus gezogen. Und deswegen habe ich auch sehr viele Sachen nicht so wichtig genommen, sondern halt einfach irgendwie gedacht, da kommst du halt am Ende nur raus, indem du das lustig findest. Ansonsten wird das sehr schnell deprimierend. Man hat in bestimmten Situationen nur, finde ich, die Chance entweder sich da reinfallen zu lassen und zu sagen, es ist alles Scheiße oder eben zu sagen, ist aber auch ein bisschen lustig.
Form A: Würden Sie Humor dann als wichtigste Kraft vielleicht des positiven Denkens sehen?
Ralf Husmann: Ja, ich glaube schon, dass das viel damit zu tun hat. Ich glaube aber, das führt ebenfalls dazu, dass man bei anderen Leuten oft kontrovers ankommt, weil die denken, man nimmt das nicht ernst. Das ist aber nicht so. Ich hatte vorgestern tatsächlich mich mit einer alten Freundin getroffen und deren Kind, das ist jetzt gerade fünfzehn, hat Knochenkrebs. Die Diagnose ist gerade gekommen und jetzt ist das im Krankenhaus und man hat sich jetzt getroffen. Und ich kannte die Diagnose bereits und dann fahre ich dahin und denke, was mache ich jetzt? Es gibt ja nur zwei Möglichkeiten; entweder zu sagen, es ist alles Scheiße und wir heulen beide oder du sagst einfach, ja, ist natürlich eine riesengroße Scheiße, aber mit einem Bein kann der ja auch bei den Arschtrittweltmeisterschaften nicht mehr so richtig mitmachen. Man kann also versuchen, ohne dass man das Thema nicht ernst nimmt, dem Ganzen trotzdem was zu geben, was halt am Ende die Sache mal auflockert. Weil man kann an dem eigentlichen Tatbestand nichts ändern, sondern man wird sagen, ja, das ist Scheiße. Das ist total beschissen und das wird auch beschissen bleiben, aber wir können jetzt nur versuchen, nicht das Beste daraus zu machen, aber trotzdem sozusagen einen guten Abend zu haben. Trotzdem zu sagen, wir reden da jetzt drüber und wir sagen, ja, das ist alles Scheiße und danach reden wir zwanzig Minuten über Dortmund gegen Schalke, um zu sagen, so, das andere existiert ebenfalls noch darüber hinaus. Und im Idealfall haben wir beide dann trotzdem noch einen guten Abend und sie hat einfach mal für zwanzig Minuten nicht daran gedacht. Das sind im Prinzip die beiden Möglichkeiten
Form A: Wie sieht für Sie der perfekte Arbeitsalltag aus? Ein guter Tag, an dem Sie produktiv sind? Welche Bedingungen müssen dafür stimmen?
Ralf Husmann: Keine. Ehrlich gesagt, keine. Ich kann, wenn es hart auf hart kommt, tatsächlich überall schreiben. Habe ich auch schon. In der Bahn genauso wie irgendwo am Strand, im Café oder sonst wo. Es müssen keine Bedingungen dafür hergestellt werden, sondern das kann überall passieren. Es gibt, und das sage ich den Studenten auch immer, in jedem Projekt die Momente, Tage oder Stunden, wo man denkt, es ist alles Mist. Ich kann den Job nicht. Ich weiß nicht, warum ich das je angefangen habe. Und ich habe einfach keine Ahnung von dem, was ich hier mache. Und das ist wirklich schlimm. Das kann man, ehrlich gesagt, so von außen gar nicht beurteilen, weil man immer denkt, ja, es ist am Ende nur ein Drehbuch und es hängt da kein Leben dran, es geht um nichts. Aber die Situation, wenn man da sitzt und sagt, es muss fertig werden, nächste Woche ist Abgabe und du bist aber an einem Punkt, wo das irgendwie nicht vorangeht, ist jedes Mal dramatisch, passiert eigentlich immer wieder und ist dann auch nicht schön, kann man aber, ehrlich gesagt, am Ende nicht lösen, sondern muss man irgendwie zulassen und sagen, ja, heute geht nichts und wir müssen hoffen, dass es morgen was wird.
Form A: Was machen Sie tatsächlich, wenn Sie im Denken dann nicht weiterkommen?
Ralf Husmann: Ich habe sehr lange gebraucht, um das für mich zuzulassen. Ich bin ja sehr preußisch erzogen worden und auch sehr disziplinorientiert und habe sehr lange gedacht, man muss einfach jeden Tag da sitzen und jeden Tag sein Pensum machen und wenn man das nicht schafft, muss man sich einfach zwingen und dann sitzt man halt bis nachts. Und ich habe sehr lange gebraucht, um das irgendwann zuzulassen, zu sagen, es gibt auch Tage, wo nichts passiert. Wo es einfach nicht geht. Und ich vertraue mittlerweile darauf, dass ich weiß, das geht vielleicht ein, zwei Tage und dann am dritten Tag geht es auch wieder. Es ist aber tatsächlich so, dass man das wirklich lernen muss. Ich musste das auf jeden Fall lernen, zu sagen, dann gehst du einfach an einem Tag mal wieder joggen oder räumst die Wohnung auf oder machst irgendwas oder kaufst irgendwas und denkst halt auch tatsächlich nicht daran. Und dann ist das für mich so, dass sich der Kopf unbewusst sozusagen mit dem Problem auseinandersetzt und irgendwann eine Lösung hat. Für mich meistens nach dem Laufen oder nach dem Duschen oder so gibt es halt irgendwann den Punkt, wo man sagt, „ah ja, so ist es“.
Form A: Das heißt, man kann nicht krampfhaft daran festhalten, sondern muss dann etwas Anderes ausprobieren?
Ralf Husmann: Ja. Das hat sich für mich als die beste Lösung bewährt, dass ich denke, man muss es wirklich loslassen können und wirklich nicht mehr daran denken und dann aber eigentlich im Vorfeld sich so viel damit beschäftigt haben, dass der Kopf es offenbar selbständig löst. Irgendwann, ohne dass man was dazu beigetragen hat – aber das war echt ein sehr langer Lernprozess bei mir.
Form A: Und gibt es die Situation auch, dass man das Drehbuch eben nicht fertigbekommt?
Ralf Husmann: Nein.
Form A: Und wenn ja, wie geht man damit um?
Ralf Husmann: Ist mir, Gott sei Dank, noch nie passiert. Diesen richtigen Writer‘s Block von dem man immer hört, habe ich, Gott sei Dank, noch nie erlebt. Es ist immer fertig geworden. Es führt häufig dazu, dass man bis nachts um fünf da sitzt und das Ding irgendwie fertigmacht. Das ist schon vorgekommen. Das ist auch bereits mehr als einmal vorgekommen. Aber es ist noch nie passiert, dass ich jetzt irgendwie wirklich nicht zu Ende arbeiten konnte. Das habe ich, Gott sei Dank, noch nicht gehabt.
Form A: Braucht es da eine besondere Aktivierungsenergie, wenn Sie morgens anfangen, oder wachen Sie morgens bereits mit einer Idee auf? Haben sich über Nacht ein bisschen damit beschäftigt und dann geht es direkt an den Schreibtisch?
Ralf Husmann: Für mich ist es tatsächlich hilfreich, zwei, drei oder auch vier Projekte parallel zu machen und ich habe eigentlich gute Erfahrungen damit gemacht, dass man, wenn es an einer Stelle nicht weitergeht, was anderes weitermachen kann. Irgendwas geht immer. Und irgendwie habe ich bislang einen ganz guten Rhythmus gefunden, wo ich weiß – fast wie so eine innere Uhr –, ja, jetzt muss ich aber mal an dem Projekt anfangen, sonst wird das nicht fertig. Ich habe aber auch gemerkt, und das wird mit zunehmendem Alter immer schlimmer, ich kann fast nur noch unter Druck arbeiten. Wenn jemand sagt, du hast Zeit, ist nicht so schlimm, mache ich es nicht. Ich brauche mittlerweile wirklich eine Deadline, wo ich merke, je größer der Druck ist, umso besser werde ich. Ich weiß nicht, woran das liegt, ehrlich gesagt, aber es war früher schon so, ist aber jetzt im Laufe der Jahre immer schlimmer geworden.
Form A: Das heißt, in entspannten Situationen nehmen die Ideen ab?
Ralf Husmann: Ja. Irgendwie setzt dann so ein Schlendrian ein. Es setzt dann sowas ein, wo man sich selber dann auch nicht so weit verarschen kann, dass man denkt, jetzt zählt es aber. Sondern man schreibt dann schon mal so irgendwie vor sich hin und ich merke aber in Situationen, wo ich weiß, es ist noch relativ viel Zeit, mäandert das wahnsinnig hin und her und dann weiß ich schon, ich muss die Hälfte nachher wegschmeißen. Ich muss das alles nochmal eindampfen und so. Das ist ganz verrückt. Also für mich braucht es den Druck, damit es am Ende gut wird.
Form A: Mit dem ‚Tatort‘ haben Sie ein bisschen das Genre gewechselt, könnte man meinen. Sie haben sich der Kriminalgeschichte verschrieben. Ist das ein anderes Schreiben? Ist das eine neue Herausforderung gewesen? Oder hat es doch auch mit Humor zu tun?
Ralf Husmann: Ja. Es hat auch mit Humor zu tun. Das war auch von vornherein das Ziel, dass wir versucht haben, den Krimi auch ein bisschen humorvoll aufzuladen. Nichtsdestotrotz muss man am Ende natürlich trotzdem einen Krimi erzählen. Man braucht halt am Ende einen Fall. Man muss eigentlich auch eine Lösung bieten, womit ich mehr gehadert habe, als ich anfangs gedacht habe. Ich habe tatsächlich vorher nur so, sagen wir mal, einen Comedy-Krimi gemacht mit einer Serie mit Christian Ulmen, die Dr. Psycho hieß, aber eben nur ein Stundenformat war und jetzt bei so einem 90-Minuten-Format muss man am Ende schon sagen, kann man nicht an dem klassischen Kriminalfall vorbeischreiben. So und damit habe ich mich schwerer getan, als ich anfangs gedacht habe und habe das, ehrlich gesagt, auch bis zum Ende nicht so richtig in den Griff bekommen. Als nicht-regelmäßiger Tatortgucker habe ich das ein bisschen unterschätzt und habe beim Schreiben dann gemerkt, das Ding gibt es halt einfach schon 30 Jahre. Es haben schon sehr viele Kollegen sehr viele Fälle gebaut und gemacht und dann kann man da das Rad nicht neu erfinden, weil auch in der wahren Kriminalität einfach die Motive begrenzt sind. Da gibt es halt nur Habgier. Es gibt halt Eifersucht. Es gibt irgendwie den Mord im Affekt, aber es gibt jetzt nicht 20.000 Gründe, warum jemand umgebracht wird. Und man kann da eigentlich auch nur sehr wenig Varianten neu erfinden. Und das war für mich relativ kompliziert. Ich habe das auch bis zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht wirklich rausgefunden, wie man das sinnvoll miteinander verknüpfen kann. Zumal man beim Tatort ja auch immer aus dieser Ermittlerperspektive erzählen muss, was eigentlich die langweiligste Perspektive ist, weil dann ist ja alles schon passiert und man arbeitet sozusagen antifilmisch. Denn eigentlich will man beim Film ja dabei sein, wenn was passiert und jetzt arbeitet man aber von hinten nach vorne. Es ist schon was passiert. Jetzt muss man herausfinden, wer war es? Und das ist gar nicht so einfach und kommt meiner Schreibe nicht so richtig entgegen.
Form A: Sie haben es dann also stärker mit Dramaturgie und den Zwängen dieses Formates zu tun bekommen?
Ralf Husmann: Ja, es ist mehr ein Genrezwang als die Dramaturgie. Dramaturgie braucht man in jeder klassischen Komödie durchaus auch. Also sogar mehr als in anderen Bereichen, finde ich. Man kann im Krimi oder Sozialdrama oder so eigentlich nochmal mehr schummeln. In einer Komödie muss die Dramaturgie schon gut stimmen, wenn sie funktioniert. Aber das Genre ist halt tatsächlich nochmal eine andere Herausforderung und die muss man tatsächlich nochmal neu lernen. Für mich zumindest. Deswegen gibt es Leute, die nichts anderes machen als Krimis schreiben.
Form A: Sie haben dann jetzt aufgehört, den Tatort zu schreiben. Wie ist es dazu gekommen? Und was hat das mit Ihnen persönlich gemacht?
Ralf Husmann: Ich glaube, ich bin tatsächlich an dem konkreten Format – es lag nicht am Tatort – was wir da versucht haben zu bauen, einfach nicht weitergekommen. Ich finde aber, dass Scheitern einfach dazugehört. Ich glaube, das sage ich auch meinen Studenten immer, ich bin im Laufe der Jahre einfach mehr gescheitert, als dass ich irgendwie erfolgreich war. Es sind viel mehr Sachen nicht gemacht worden, als Sachen gemacht worden. Es sind auch Sachen schiefgegangen. Ich habe jetzt, ich weiß nicht, 150 Drehbücher geschrieben oder sowas im Laufe der Jahre und davon sind vielleicht, weiß ich nicht, sieben, acht, neun gut und der Rest teilt sich dann irgendwie auf in so einen mittleren Bereich und dann gibt es auch ein paar, die einfach daneben gegangen sind. Und in anderen Bereichen ist es auch so. Ich finde, man scheitert ja viel mehr, als dass man erfolgreich ist. Am Ende in der Nachbetrachtung bleiben halt die Siege über. Ich glaube, man erinnert sich halt mehr an das, was erfolgreich war, als an das, was nicht erfolgreich war. Aber jetzt auch, z. B. Stromberg waren die ersten drei Staffeln überhaupt nicht erfolgreich. Es hatte einfach eine relativ bescheidene Quote. Es hatte bis zum Ende eine relativ bescheidene Quote, hatte sich dann aber irgendwann mal so gefangen. Aber das war am Anfang gar kein Erfolg und die allermeisten erfolgreichen Formate sind anfangs jetzt erstmal nicht so wahnsinnig erfolgreich gewesen. Ich glaube, es gibt ja auch nur deswegen so wenig herausragende Kunstwerke, weil es einfach wahnsinnig schwer ist, hinzukriegen, dass man irgendwie alle Komponenten unter einen Hut bringt. Dass alles passt, ist halt wahnsinnig schwer. Und damit muss man tatsächlich lernen umzugehen. Also für mich ist das eigentlich immer ein frustrierender Prozess, weil man eigentlich jedes Mal aufs Neue losgeht und denkt: Das ist eigentlich eine gute Idee, in die Richtung könnte es gehen, das kriegen wir, glaube ich, ganz gut hin. Und in dem Moment, wo man anfängt zu schreiben, merkt man bereits, man bekommt es doch nicht so gut hin. Und wenn man dann noch anfängt, das Ding umzusetzen, denkt man, ah, aus dem, was eh schon nicht so gut in der Schreibe war, wird jetzt in der Umsetzung nochmal was Schlechteres. Am Schneidetisch ist man jedes Mal am Verzweifeln, weil man denkt, das ist ja alles Scheiße. Und wenn es nachher mal fertig ist, dann hat man das Gefühl, man hat es gerade noch mal so gerettet. Das ist eigentlich immer der Zyklus. Ich habe es fast noch nie anders erlebt.
Form A: Das heißt, man braucht eine hohe Frustrationstoleranz?
Ralf Husmann: Ja. Ich finde schon. Ich finde auf der einen Seite ist das halt nach wie vor ein toller Job, weil man eben tatsächlich alles benutzen kann. Weil man für sich das Gefühl hat, das Leben hat einen gewissen Sinn, weil man alles einbauen und alles benutzen kann. Und auf der anderen Seite ist es wahnsinnig frustrierend, weil ich jedes Mal denke, man bekommt es nicht hin. Woody Allen erzählt das ja auch jedes Mal und ich glaube, das ist total ähnlich, dass man irgendwie an einen Punkt kommt, wo man sagt, es ist ja eigentlich egal, ob die Leute einen feiern. Da sind wir quasi wieder einmal Full Circle gekommen. Also wenn die Leute schreiben, „der lustigste Mann Deutschlands“, ist das für einen persönlich immer wurscht, weil man immer denkt: „Ja, aber das, was ich persönlich machen wollte, habe ich eigentlich nicht hingekriegt.“
Form A: Wenn man schöpferisch arbeitet wie Sie, wie nachsichtig muss man vor dem Hintergrund, was Sie gerade formuliert haben, mit sich selber sein? Lernt man über die Jahre nachsichtiger mit sich zu sein?
Ralf Husmann: Ob ich nachsichtiger geworden bin, kann ich ehrlich gesagt nicht sagen. Ich glaube, nein. Ich glaube, es ist für mich sogar tendenziell schwieriger geworden, weil ich eigentlich von mir mehr erwarte und immer denke, ja, eigentlich müsstest Du das jetzt besser können. Ich habe immer das Gefühl, dass ich jetzt eigentlich mehr Routine habe und dadurch bestimmte Sachen auch vermeiden könnte. Und ich merke dann immer am Ende, wenn es dann doch nicht klappt, dass ich eigentlich genervter bin von mir. Ich glaube, es hat auch was damit zu tun, dass man in jüngeren Jahren erstmal per se aus der Jugend heraus ein bisschen arroganter ist und man denkt, ja ich bin ja eh der geilste Leute; habe ich jetzt nicht hingekriegt, aber eigentlich bin ich schon super. Und je mehr man mitbekommt, umso mehr, glaube ich, steigt erstmal auch diese Einsicht, dass das nicht der Fall ist. Ich habe, glaube ich, mit 18 gedacht: „Ja Leute, Entschuldigung, ich muss ja gar nichts mehr aufschreiben, weil ich bin es ja eh.“ Und ich glaube, so mit 38 denkt man: „Ja, eher doch nicht so.“ Und jetzt mit über 50 denke ich, ja, ich weiß relativ gut, was ich kann und was ich nicht kann, aber es bleibt halt trotzdem dieses Level, wo man denkt, da will man eigentlich hin, das will man erreichen. Und man stellt halt in der täglichen Arbeit fest, dass man da sehr selten hinkommt.
Form A: Haben Sie besondere Kreativitätstechniken, die Sie für sich anwenden?
Ralf Husmann: Tatsächlich gibt es so etwas wie ein Tagebuch, ist jetzt fast falsch – ich nenne es immer eine Materialsammlung. Ich setze mich wirklich fast jeden Tag hin und schreibe halt auf, was Leute mir erzählt haben, was mir selber aufgefallen ist, was mir irgendwo begegnet ist oder sowas. Ich mache wirklich so eine ganz brachiale Materialsammlung. Und immer mal wieder, wenn mir nichts einfällt, gehe ich die durch. Ich weiß nicht wie umfangreich die ist, ich sortiere das immer nach Jahren. Und schreibe halt immer ‚Material 2016‘, ‚Material 2017‘ und so. Das gehe ich in regelmäßigen Abständen durch und schreibe das auch raus, wo ich denke, ah, das wäre jetzt gut für das und das Thema. Und das ist wahnsinnig hilfreich und wichtig, weil man vergisst wahnsinnig viel und man ist auch sehr darauf angewiesen an Tagen, wo einem nichts einfällt, plötzlich nochmal irgendwo was zu haben, wo man sagt, daraus kann man nochmal was machen. Und ansonsten gibt es tatsächlich nur die Situation, wo man eigentlich losschreiben muss. Es gibt in der Psychologie dieses Thema, wo man sagt, man hat automatisches Schreiben. Das mache ich manchmal auch. Dass man einfach sagt, man fängt irgendwo an und macht erstmal und dann schaut man, was dabei herauskommt. Da kommt manchmal auch was bei heraus, was man dann benutzen kann. Man kann jetzt nicht ein Drehbuch so schreiben, aber man kann manchmal eine Figur irgendwo hinbringen oder sagen, ah, das könnte jetzt interessant sein. Es gibt einzelne Techniken für bestimmte Bereiche, wo man sagt, ich weiß, wie ich, z. B. einen Gag bauen kann. Wenn ich jetzt irgendwas brauche, wo ich sage, diese Figur muss jetzt eine lustige Line sagen zu dem und dem Thema, dann kann ich mich hinsetzen und sagen, ich kann mit Sachen experimentieren und komme dann irgendwann drauf. Ich weiß, dass ich dann innerhalb von fünf Minuten auf irgendeine Line komme. Das lernt man im Laufe der Zeit. Das ist aber tatsächlich relativ einfaches Handwerk.
Form A: Und wie hoch ist der produktive Output? Kann man das irgendwie beziffern? Ist der an unterschiedlichen Tagen unterschiedlich oder gibt es da relativ gleichbleibende Ergebnismengen?
Ralf Husmann: Das hängt tatsächlich sehr am Druck. Ich weiß, dass ich das liefern kann, wenn ich das muss. Es gibt Situationen, wo ich weiß, da muss das fertig werden und dann wird das fertig. Ich glaube, ich kann relativ viel schreiben. Ich kann auch relativ schnell schreiben. Ich mache sehr viel unterschiedliche Sachen, von einer Playboy-Kolumne bis zum Dramadrehbuch. Erstmal ist da relativ viel dabei und ich kann da relativ schnell relativ viel liefern, aber es gibt natürlich auch Sachen, wo man einfach sagt, da geht das wahnsinnig schleichend voran. Ich kann das nicht genau beziffern. Es gibt sehr unterschiedliche Tage mit sehr unterschiedlichen Baustellen, aber es gibt nicht so Phasen, wo ich sagen, hier geht es besonders toll und dann im Herbst geht gar nichts oder so. Sondern, wenn es muss, geht es immer.
Form A: Wie finden Sie Ihren Gegenstand dann, wenn Sie z. B. eine Kolumne abliefern müssen am nächsten Tag? Ist es das, was in der Woche davor passiert ist?
Ralf Husmann: Ja, oft ist das so. Für mich ist das Themenfinden tatsächlich eigentlich am Schwierigsten. Da muss ich am längsten überlegen, was liegt denn da jetzt gerade rum? Wenn ich weiß, ah, jetzt ist das wieder dran, nehme ich das zwei Tage im Kopf immer mal so mit. Also auch beim Einkaufengehen oder so denke ich, ah was ist jetzt gerade so das Thema? Und dann kommt das irgendwann. Irgendwann habe ich das Ding gefunden und denke, „ah ja, das ist gar nicht so schlecht.“ Das eigentliche Schreiben dann geht total schnell, aber das Themenfinden ist mitunter relativ schwierig.
Form A: Sie sind jetzt seit vielen Jahren in diesem Beruf. Stellen Sie da für sich selber fest, dass sich Stoffe auch erschöpfen? Dass man vielleicht selber auch erschöpft in der Herausforderung immer wieder da etwas zu leisten, eigentlich Originalität liefern zu müssen?
Ralf Husmann: Erschöpft glaube ich, ehrlich gesagt, nicht so zwingend. Mir macht das immer noch Spaß. Ich habe eher so die Befürchtung im Hinterkopf, dass ich irgendwann an den Punkt komme, wo ich vielleicht, sagen wir mal, den Zeitgeist nicht mehr treffe oder das nicht mehr treffe, was die Leute gut finden. Ich habe bereits ein paar Mal Leute erlebt, die ich selber super fand, die halt irgendwann nicht mehr gewusst haben, wo die Reise hingeht. Ich fand so einen Helmut Dietl immer super und fand alles, was der gemacht hat, erstmal bis zu einem gewissen Punkt spitze und habe dann den letzten Film, den er da gemacht hat, den ‚Zettl‘, gesehen und fand den komplett missraten und dachte, das ist erstaunlich für jemanden, der so eine Erfahrung und Routine hat, dass dem solche Sachen passieren. Oder jetzt jemand wie Gottschalk oder so, wo ich sage, das ist jetzt nicht mein Held gewesen, aber man hat so das Gefühl gehabt, ja, der hat das Ding ungefähr im Griff. Und dann kommt er halt irgendwann wieder nach „Wetten, dass“ und macht da so einen komischen, gescheiterten Late-Night-Versuch, wo man denkt, das stimmt hinten und vorne nicht. Diese Angst, irgendwann an den Punkt zu kommen, wo man denkt, man macht nochmal irgendwas und alle anderen denken: „ach, du Scheiße“ und das sagt einem aber keiner und man selber bekommt es auch nicht mit, das ist durchaus da. Dass ich irgendwie denke, ja, jetzt ist ja irgendwie schon die übernächste Generation einmal dran. Ich habe jetzt schon verschiedenste Muster oder Moden mitgemacht. Jetzt kommen viel Moden schon zum zweiten oder für mich teilweise schon zum dritten Mal und ich habe durchaus so ein bisschen die Befürchtung, vielleicht schaffe ich das noch einmal, aber wenn das jetzt noch einmal kommt, bekomme ich es vielleicht nicht mehr mit. Das schwebt schon so ein bisschen mit und ich weiß nicht, ob es genug Leute gibt, die dann sagen: „Du, mach doch mal was anderes“.
Form A: Könnten Sie sich tatsächlich auch vorstellen, auszusteigen von diesem Beruf? Oder sich vorstellen irgendwie etwas ganz anderes zu machen? Oder ist dann doch die eigene Identität, das eigene Sein und das Berufsleben sehr stark mit dem, was man gemacht hat, verhaftet?
Ralf Husmann: Ja. Eigentlich schon. Ich wüsste ehrlich gesagt nicht, wenn dieser Fall eintritt und man sagt mir, „hör mal, lass das doch mal bleiben mit dem Schreiben“, was dann die Alternative dazu wäre. Ich glaube – ich kann mich einigermaßen gut einschätzen – mir würde jetzt das Mitreden oder so diese Wichtigkeit, dass man nochmal irgendwo eingeladen wird oder man ist nochmal beim Filmpreis, nicht fehlen; ich würde bestimmt auch einfach weiter für mich schreiben, weil ich glaube, dass das Schreiben ein elementarer Bestandteil von mir ist und das so das Ding ist, wo ich am meisten das Gefühl habe, das ist immer da. Es ist, sagen wir mal, mehr da als jetzt Menschen, z. B. da sind, wo ich einfach immer das Gefühl habe, es kann sein, dass die mal weggehen oder dass man sich da irgendwie auseinanderlebt oder so. Schreiben ist, glaube ich, immer da. Ich könnte jetzt tatsächlich nicht einfach sagen, dann mache ich ein Café auf oder dann eröffne ich irgendwo ein Bed & Breakfast in Kalifornien oder so. Ich wüsste tatsächlich nicht, was ich dann mache. Ich glaube, wenn das jetzt tatsächlich nicht mehr gefragt ist, müsste ich sehr neu nachdenken.
Form A: Das heißt, das Schreiben ist ein Stück weit auch persönliche Identität von Ihnen? Geht das so weit, dass Sie sagen würden, wenn ich pensioniert bin, schreibe ich trotzdem weiter? Begleitet einen das Schreiben ein Leben lang?
Ralf Husmann: Ja. Ich denke schon. Ich kann mir das, ehrlich gesagt, nicht anders vorstellen. Ich glaube, dass das so ein Mechanismus ist, tatsächlich mit Leben klarzukommen. Das wird sich, glaube ich, nicht ändern. Ich habe jetzt bereits über 30 Jahre berufliches Schreiben. Ich habe das sehr früh mir vorgenommen, davon leben zu wollen, habe aber auch da vorher bereits geschrieben. Es war eigentlich immer so ein Bestandteil vom Leben. Ich habe tatsächlich auch als Kind sehr früh angefangen – ich wollte nie Astronaut werden oder irgendwie Feuerwehrmann oder Lokomotivführer oder Indianer oder so – zu sagen, ich will schreiben. Als ich noch gar nicht so richtig schreiben konnte, wollte ich schon schreiben. Und ich glaube, das einzige sinnvolle Geschenk meiner Eltern war tatsächlich eine Schreibmaschine. Ich habe da irgendwie sehr früh angefangen, das, was ich damals für einen Roman gehalten habe, zu schreiben. Wirklich so mit Zwei-Finger-Suchsystem und habe da irgendwie einen Fußballroman für Kinder zumindest mal angefangen. Ich habe das mal irgendwann im Keller gefunden und war selber überrascht. Ich weiß nicht mehr wie alt ich da war, aber noch wirklich relativ jung und habe schon da irgendwie so Fragmente gesehen, die gezeigt haben, dass ich eine Ahnung hatte wie eine Dramaturgie funktioniert oder wie man Figuren baut. Das war jetzt irgendwie kindgerecht, aber es war irgendwie schon da leicht vorhanden. Und ich wollte nie was Anderes machen. Deswegen könnte ich mir das nicht vorstellen, das irgendwann mal nicht mehr zu machen.
Form A: Welches Format stellt an Sie als Schriftsteller und Schreiber die größte Herausforderung? Oder umgekehrt, welches liegt Ihnen besonders?
Ralf Husmann: Kann man so nicht beantworten. Der Roman hat natürlich den großen Vorteil, dass man eine unglaubliche Freiheit hat. Man kann machen, was man will und das ist aber gleichzeitig auch der Nachteil, weil es niemanden mehr gibt, der nochmal was dazu tut. Bei einem Drehbuch hat man immer noch Schauspieler, Regisseure und andere Gewerke, die immer nochmal was dazu tun und am Ende auch nochmal Fehler ausbügeln. Beim Roman kommt da keiner mehr, außer dass der Lektor vielleicht ab und an mal sagt, „bist du dir da sicher?“ Aber ansonsten kommt da keiner mehr und das macht es gleichzeitig auch wieder schwieriger. Und auf der anderen Seite ist man oft genervt davon, dass man beim Drehbuch natürlich eingeschränkt ist in der Möglichkeit, weil man den Produktionsleiter auf dem Zettel hat, wenn man sagt, wir wollen jetzt 500 Komparsen, wir wollen jetzt irgendwie im Olympiastadion drehen, deswegen muss das voll sein. Das ist dann einfach nicht herzustellen. Und man scheitert in Deutschland ja schon an so kleineren Geschichten, wo man sagt, das darf man jetzt auch nicht machen und wir können uns jetzt auch keinen Regen wünschen. Wir können jetzt auch nicht irgendwo hinfahren. Das ist manchmal ja auch nervig. Aber ehrlich gesagt sind das oft einfach nur ganz normale Herausforderungen, an denen man dann wieder wachsen kann. Manchmal hat man genau an den Einschränkungen irgendwie am Ende was Positives, wo man denkt, ah ja, das ist eigentlich besser als vorher.
Form A: Sie habe es gerade angesprochen, je nach Format gibt es manchmal mehr soziale Kooperation, manchmal weniger. Insgesamt ist der Beruf des Schreibers ja wahrscheinlich ein relativ einsamer, weil man zunächst mit sich und dem Schreibtisch zu tun hat. Wie wichtig ist für Sie diese soziale Interaktion als Einflussgröße auf das Schreiben?
Ralf Husmann: Na ja, der zweite Roman hieß: „Vorsicht vor Leuten“ – ist ja so ein Lebensmotto auch von mir. Ich bin jetzt nicht so ganz wild auf Leute. Ich achte schon darauf, dass das ab und zu mal stattfindet, dass ich jetzt nicht so völlig vereinsame und dass ich irgendwie merkwürdig schrullig werde. Wenn ich anfange in den Abwasch zu schimpfen, weil ich einfach schon zwei Tage mit niemandem mehr gesprochen habe, denke ich, jetzt muss ich mal wieder raus. Wenn ich produziere oder wenn ich über das Schreiben hinaus nochmal tätig werde, hat man ja automatisch mit relativ vielen Leuten zu tun. Ich weiß auch von den Studenten her, man wird eigentlich Autor, weil man kein Bock auf Leute hat. Man muss aber feststellen, der Job als Autor lässt sich nur dann gewinnbringend ausführen, wenn man sich auch selber gut verkaufen kann und wenn man halt in der Lage ist, soziale Kontakte auch herzustellen und zu pflegen. Das ist ja eigentlich mit einer der Hauptarbeitsbereiche, die man als Autor hat. Es nutzt eigentlich nichts, wenn man nur schreiben kann, aber nicht die Scheiße auch verkaufen kann. Und insofern kann ich das schon auch, aber ich lege da nicht so einen ganz großen Wert drauf. Ich bin jetzt nicht so derjenige, der mit einem riesigen Freundeskreis rumtingelt und jetzt jeden Tag unterwegs sein muss, sondern ich finde es auch mal ganz gut, einfach zu sagen, ich bin jetzt hier so für mich. Brauche aber in der Tat ab und zu mal genau diese Konfrontation mit Kostümbildnern, Maskenbildnern und Leuten, die so völlig anders ticken als ich, mit denen man aber trotzdem klarkommen muss.
Form A: Zum Abschluss noch die Frage, die wir allen stellen. Gibt es ein Buch, was Sie besonders inspiriert hat, am meisten begleitet hat in Ihrem Leben?
Ralf Husmann: Ein Buch, glaube ich nicht. Ich glaube aber, dass, sagen wir mal (überlegt) – wahrscheinlich würde ich das morgen wieder anders beantworten – diese Rabbit-Reihe von John Updike eine zeitlang wirklich sehr prägend für mich war, weil da hat jemand ein komplettes Leben immer in verschiedensten Abschnitten, mit 20, 30, 40, 50, begleitet und alle, weiß nicht, zehn Jahre mal so ein Buch geschrieben und das fand ich extrem beeindruckend auch in der Art, wie mir das nahgekommen ist. Obwohl die Hauptfigur so ein Mittelstandsbürger im mittleren Westen der USA war. Aber ich konnte mit der Figur wahnsinnig viel anfangen und fand das ausgesprochen beeindruckend geschrieben. Ich weiß nicht, ich könnte jetzt nicht ein Buch rausgreifen, aber das wäre, z. B. so eine Serie oder eine Reihe, die mir sehr gut gefallen hat.
Form A: Herr Husmann, wir bedanken uns ganz herzlich für diesen persönlichen und privaten Einblick in Ihre Denkwerkstatt.
Biografie
Ralf Husmann, geboren 1964 in Dortmund, lebt aktuell in Berlin.
Ab Mitte der 80iger als Kabarettist, freier Autor und Realisator vor und hinter der Kamera tätig. 1995 der endgültige Wechsel hinter die Kulissen und zwar zu BRAINPOOL als Chefautor und Producer für „Die Harald Schmidt Show“. Anschließend als Chefautor und Produzent verantwortlich für Formate wie die SAT1 Comedyserie „Anke“ mit Anke Engelke, „Dr. Psycho“ mit Christian Ulmen, „Der kleine Mann“ mit Bjarne Mädel und „Stromberg“ mit Christoph Maria Herbst. 2008 veröffentlichte Ralf Husmann seinen ersten Roman „Nicht mein Tag“, der sich über 200 000 Mal verkauft hat und 2014 mit Moritz Bleibtreu fürs Kino verfilmt wurde. 2010 der zweite Roman „Vorsicht vor Leuten“, der es erneut in die SPIEGEL Bestsellerliste schaffte und für die ARD mit Charly Hübner und Michael Maertens verfilmt wurde. Husmann schrieb darüber hinaus Comedy-Ratgeber, Kolumnen für den SPIEGEL und den PLAYBOY und entwickelte für die ARD die ersten Fälle des Tatort-Teams in Dresden mit Alwara Höfels und Martin Brambach. Für seine Formate bekam Ralf Husmann zwei Mal für den Deutschen Fernsehpreis, zwei Grimme-Preise, zwei Deutschen Comedypreise, sowie jeweils den
Bayrischen Film- und Fernsehpreis.
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